Als
wir aus unseren Flitterwochen erholt und glücklich zurückkehrten, erwartete
uns ein doch sehr unangenehmes Ereignis. Mein Mann hatte soviel Spaß
daran, mich mit Hilfe unserer Tochter (in meinem Bauch) zu ärgern, dass die
Panik, die mir mein Frauenarzt nach unserer Rückkehr versetzte auch ihn
erfasste. Fröhlich und glücklich kam ich in die Praxis und sah mich
aufgeregten Arzthelferinnen gegenüber. Ich wurde ohne Wartezeit an das CTG
geschlossen und dann umgehend ins Untersuchungszimmer geführt. Mein Arzt
untersuchte mich mehr als gründlich und bat mich anschließend in sein
Besprechungszimmer. Ich bekam es mit der Angst zu tun, denn so kannte ich meinen
Arzt überhaupt nicht. In seinem Besprechungszimmer bat er mich Platz zu nehmen
und erklärte mir, dass mein Tripple-Test – der vor der Hochzeitsreise
durchgeführt wurde – nicht das gewünschte Ergebnis hatte. Ich sah ihn nur
fragend an. Dieser Test ist dazu da, um eventuell eine Fruchtwasseruntersuchung
auszuschließen. Für meine Daten hätte der Computer eine Risikozahl von 1:1500
auswerfen müssen, aber der Wert war 1:160. Das war eine so große Erhöhung,
dass man auf jeden Fall eine Fruchtwasseruntersuchung machen sollte, um die
Gefahr eines Kindes mit Wasserkopf oder offenem Rücken oder Down-Syndrom
ausschließen zu können. Die Panik, die in der Praxis wegen mir aufkam entstand
daher, dass ich nur noch zwei Wochen Zeit für eine eventuelle Entscheidung
hatte. Ein Kind darf aus medizinischer Sicht bis zum sechsten Monat abgetrieben
werden und meine Frist lief in zwei Wochen ab. Ich traute meinen Ohren kaum. Wie
in Trance nahm ich wahr, dass der Arzt mir für Freitags einen Termin in einer
Spezialpraxis in Düsseldorf besorgte und mir empfahl, nicht allein dorthin zu
fahren. Ich konnte einfach nicht glauben, was er mir da sagte. Dieses
Temperamentsbündel in meinem Bauch sollte behindert sein??? Das war unmöglich!
Das heißersehnte Kind meines geliebten Mannes sollte schwer behindert sein und
ich musste entscheiden.... NEIN!!! – alles in mir schrie: NEIN!!!
Das konnte, das durfte einfach nicht wahr sein!
Wieder
zu Hause angekommen, rief ich auf der Arbeit meines Mannes an. Er kam umgehend
nach Hause und versuchte mich trotz seiner eigenen Panik so gut es ging zu
beruhigen. Aber ich konnte und wollte mich nicht beruhigen! Für Freitag hatte
er sich Urlaub genommen und begleitete mich in die Spezialpraxis. Dort
angekommen erfuhren wir, dass ein Notfall dazwischen gekommen sei und wir noch
ungefähr eine Stunde einen Kaffee trinken gehen könnten. In dieser Zeit
beschwor ich meinen Mann wieder mit mir nach Hause zu fahren... ich wollte das
alles nicht, wollte nicht wissen was los ist, wollte keine Entscheidung fällen
müssen, wollte einfach nur noch weg. Doch er blieb standhaft und schaffte es,
mich zu überzeugen, diese Untersuchung über mich ergehen zu lassen.
Der
Frauenarzt erklärte uns vorher ganz genau den Eingriff und betonte immer
wieder, dass man die Untersuchung mache, um zu beweisen, dass meine Kleine nicht
behindert sei. Doch das kam gar nicht richtig bei mir an. Dann bat er um meine
Unterschrift. Ich schaute Jürgen an und er nickte nur. Ich unterschrieb.
Anschließend erklärte uns der Arzt, dass es auf Grund des Zeitmangels nötig wäre,
ebenfalls eine Nabelschnurpunktion durchzuführen. Das bedeutete, man würde
Blut aus der Nabelschnur entnehmen, da man dort innerhalb einer Woche ein
Ergebnis bekommen würde. Die Kulturen, die vom Fruchtwasser angelegt werden mussten,
würden bis zu 4 Wochen brauchen um ein Ergebnis zu erhalten. Das wäre für
eine Entscheidung viel zu spät. Auch hier stimmte ich mechanisch zu. Als
letztes wollte der Arzt wissen, ob er uns verraten solle, ob es ein Junge oder
ein Mädchen wird. Das war mein kleiner Hoffnungsschimmer und auch hier sagte
ich ja.
Zuerst
wurde ich per Ultraschall untersucht. So tolle Bilder hatte ich noch nie
gesehen. Wir waren beide ganz fasziniert. Dann meinte der Arzt auf einmal:
“Warum sprechen Sie eigentlich immer von IHM?“ Ist doch logisch: DER Fötus
oder auch DER Embryo. Der Arzt fuhr fort: „Das könnte IHR aber nicht
gefallen!“ Mein Mann strahlte über das ganze Gesicht. EINE TOCHTER!!! Auch
mein Herz machte einen Satz, wenn auch sehr verhalten. Ich hatte mir so sehr
eine Tochter gewünscht und nun sollte sie behindert sein??? Das durfte nicht
wahr sein!!!
Der
Eingriff selbst erwies sich als schwieriger als erwartet, denn meine Tochter
verteidigte ihren Bauch aufs Äußerste. Der Arzt hatte alle Mühe ihr
auszuweichen um sie nicht mit der Nadel zu treffen. Ich kam mir dabei vor als würde
er in einem Kochtopf rühren. Mit der Zeit machte sich auch die Reizung an der
Gebärmutter bemerkbar und ich brach meinem Mann fast seine Hand. Als der
Frauenarzt dann endlich fertig war, musste ich noch zwei Stunden im Ruheraum
liegen, bevor ich nach Hause durfte. Meine Gebärmutter machte noch tagelang
Theater und meine – nein unsere – Angst stieg ins Unermessliche.
Mittlerweile hatte ich mich über die einzelnen Behinderungen informiert und
auch über eine Abtreibung in diesem Stadium der Schwangerschaft. Mit beidem kam
ich nicht klar. Die Behinderungen waren so schwer, dass ich sie weder mir noch
meinem Mann geschweige denn meinem Sohn, der mit seinem Erzeuger genug
schlechtes erlebt hatte, zumuten konnte. Allerdings kam eine Abtreibung in
diesem Stadium der Schwangerschaft einer Totgeburt gleich. Man wollte also unser
heißersehntes Kind, das so lebendig in meinem Bauch tobte, durch Injektion abtöten
und dann eine ganz normale Geburt einleiten. Wie konnte man von mir verlangen
mein eigenes Kind zu töten??? In dieser einen Woche Wartezeit lief ich fast
Amok. Nur Jürgen blieb mal wieder scheinbar gelassen und versuchte mich zu
beruhigen. Doch in seinen Augen konnte ich seine Angst lesen...
Eine
Woche später rief ich bei meinem Frauenarzt an, aber er hatte noch kein
Ergebnis. Also rief ich in Düsseldorf an. Als erstes gratulierte man mir dann
zu einem Mädchen, denn das stand nun auch 100% fest. Anschließend kam dann das
Ergebnis... SIE IST KERNGESUND!!! Ich legte einfach auf. All die Anspannungen
der Tage vorher... jetzt konnte ich weinen. Kiloweise fielen die Steine vom
Herzen und auch bei Jürgen löste sich ein Knoten. Wir fielen uns überglücklich
in die Arme und weinten im Duett. Jetzt erst gestand er mir, dass er sich selber
die schwersten Vorwürfe gemacht hatte. Er arbeitete in einem großen
Chemiekonzern und da ich ja schon ein gesundes Kind hatte... konnte es ja nur an
ihm liegen... Und ich hatte mir die Schuld gegeben. Ich liebte ihn von Tag zu
Tag mehr.
Im
Juni kam dann der nächste Schock. Ich bekam eine Brustentzündung und musste
ins Krankenhaus. Die Ärzte dort wollten mich unbedingt operieren. Und das zwei
Monate vor dem Entbindungstermin! Nein, das konnte ich nicht zulassen. Unsere
Tochter war gesund und ich wollte sie keiner Gefahr mehr aussetzen. Nach einer
Woche verließ ich das Krankenhaus auf eigene Verantwortung ohne OP. Mit meinem
Frauenarzt ging ich gegen die Entzündung vor – Erfolgreich. Meine Brust war
mir zu dem damaligen Zeitpunkt so was von egal – Hauptsache ich konnte meinem
geliebten Mann seine kleine Tochter gesund zur Welt bringen. Nach dem uns die
kleine Hexe dann auch noch eine Woche warten ließ, bekam ich am 31.08.1996
morgens gegen 05:00 Uhr die erste Wehe. Dann eine halbe Stunde nichts. Dann die
nächste. Ich dachte, meine Güte, so kann das ja noch ewig dauern und legte
mich in die Badewanne. Ich wusste ja, durch die Geburt meines Sohnes, dass baden
Wehenfördernd war. Leider schlief ich ein und erwachte gegen 07:00 Uhr mit höllischen
Schmerzen. Der Abstand mittlerweile nur noch ca. 10 Minuten. Mein Sohn bekam
Angst um seine Mama und lief zu meinem Mann: „Papa, Papa komm schnell die Mama
hat ganz doll Aua!“ „Ich weiß, mein Kleiner, deine Schwester kommt,“
antwortete dieser und wollte sich schlaftrunkend noch mal umdrehen. „Aber
Papa, die Mama hat so doll Aua, sie kommt nicht mehr aus der Badewanne raus!“
Mein Sohn war entsetzt, dass Papa weiterschlafen wollte, doch er hatte genau die
richtigen Worte gefunden. Jürgen schoss hoch und kam ins Bad. Ich beruhigte ihn
dann erst mal und bat ihn, mir zu helfen. Wir hatten ja noch Zeit. Ich zog mich
an und bestätigte Jürgen, dass er sich in Ruhe duschen und rasieren könne.
Naja, und auf dem Weg ins Krankenhaus könnten wir ja noch kurz am Geschäft
anhalten und die Wurst fürs Wochenende kaufen. Gesagt
- getan. Nachdem ich mich und meinen Sohn angezogen hatte und Jürgen aus
der Dusche kam fragte er wie die Abstände seien. „Hm, ca. 5 Minuten, das
Rasieren solltest du besser lassen... denk an die Wurst!“ Ich suchte noch ein
paar Sachen zusammen und mein Mann zog sich an. „Wie sind die Abstände?“
„Hm, kann ich auf meiner Armbanduhr nicht mehr lesen – mach doch bitte mal
den Videotext an: Hoppla, hm das Einkaufen können wir uns auch schenken: 2
Minuten. Wir sollten Gas geben!“ Jetzt begann Jürgen an zu rödeln und ich
rief meine Mutter an. Sie fuhr uns dann in die Klinik und mein Stiefvater passte
auf Chrissy auf. Gegen 07.55 Uhr kamen wir im Kreissaal an. Der Muttermund war
schon gut geöffnet und die Hebamme wollte mir doch tatsächlich noch einen
Einlauf legen. Für Jürgen waren das alles irgendwie böhmische Dörfer und er
verstand mein Theater nicht. Erklären konnte ich es ihm aber erst nach der
Entbindung. Nach der Untersuchung bekam ich dann mein Bett und ging im Kreissaal
noch mal auf die Toilette. Leider kam ich da dann nicht mehr herunter und mein
Mann musste mir samt Hebamme helfen – keine 5 Minuten später war unsere
Tochter da. Drei Presswehen und der Schwur meinerseits: NIE WIEDER KREISSAAL!!!
Und ich schenkte meinem Mann seine Tochter: JOANNA-JASMIN MARLIS BAUER! Kurz
Joe! 3100gr. Und 50cm. Papas ganzer Stolz. Sie hat eine knappe Stunde benötigt
um auf die Welt zu kommen um 08.56 Uhr war sie da. Einzig mein Ausspruch nie
wieder Kreissaal hatte meinen Mann geschockt und er fragte ganz vorsichtig, ob
das mein Ernst gewesen sei. Ich musste lachen und beruhigte ihn: „Nein, das
habe ich bei Chris auch schon gebrüllt!“ Erleichtert nahm er mich in den Arm.
Jürgen
war Papa mit Leib und Seele. Ich habe selten einen Mann getroffen, der so im
Spiel mit seinen Kindern aufging und seine Erfüllung fand. Wie sehr bewunderte
ich ihn für seine Geduld und seine Ausdauer. Jede freie Minute neben seiner Schicht galt seiner Familie –
vorrangig den Kindern. Und nach langen Gesprächen beantragten wir die
Stiefkindadoption von Chrissy. Jürgen wollte auch sein Papa sein – mit allem
was dazugehört. Ich frage mich noch heute, kann man einen Menschen eigentlich
noch mehr lieben, als man es schon tut? Ich habe Jürgen vergöttert, so wie er
mich und die Kinder vergöttert hat.
Chrissy
wollte immer alles so machen wie der Papa, alles so essen wie er und so
weiter... kann ein Mann stolzer auf seinen Sohn sein?
Joe
überraschte Jürgen immer wieder mit ihrer schnellen Auffassungsgabe. Mit 9
Monaten konnte sie laufen, mit 10 Monaten die Treppen steigen – ihr Ziel: mit
Papa und Chrissy Fußball spielen. Konnte Joe ihrem Papa ein größeres Geschenk
machen?
Selbst
auf ihrer Taufe überraschte sie uns alle und hielt den Pfarrer mächtig auf
Trab. Sie wurde mit acht Monaten getauft und war schon so fit. Ich habe noch nie einen glücklicheren Mann gesehen! Sie
hat seine Haare und seine Augen – etwas von ihm ist bis heute immer bei mir!
Leider sind auch wir nicht perfekt gewesen