20.10.1998 – 03.15 Uhr
... die
Nacht, in der unser Liebstes von uns ging
... die
Nacht, nachdem der Horror begann
... die
Nacht, die zeigte, wie schnell es gehen kann
... die
Nacht, die klarmachte, WAS wir eigentlich verloren
... die
Nacht, in der die Erde zum Stillstand kam
Dieses
Datum hat sich in meine Seele eingebrannt – schwarz und drohend. Es ist immer
und allgegenwärtig. Jedes Jahr aufs Neue beginnt im Oktober der Spießrutenlauf.
Wie werde ich es diesmal überstehen? Und auch jedes Mal die Erinnerungen aufs
Neue entfacht: Bilder, Worte, Gesten – all das Schöne und Hässliche; Sorgen
und Erfolge; Liebe und Hass – alles hat sich eingebrannt, eingebrannt in mein
Herz und meine Seele. Nach nun mehr fünf Jahren zu einem Teil meiner Selbst
geworden. Lange gelitten, viel gekämpft, meinem Sohn vor dem Selbstmord
bewahrt, meine Tochter in den schwersten Stunden beigestanden. Viele liebe
Freunde gehabt, die mir halfen und beistanden und doch tief im Herzen immer
allein gewesen. Bis zum heutigen Tag immer wieder Rückschläge eingesteckt.
Immer wieder aufs Neue die Trauer bekämpft. Gekämpft für ein doch noch glückliches
Leben mit meinen Kindern!
Auch
folgende Bilder sind geblieben:
Mein Mann wollte verbrannt werden. Nur zufällig hatten wir kurz vor seinem Tod darüber gesprochen und ich erfüllte ihm diesen letzten Wunsch.
Die Sonnenbrille wie ein Schutzschild vor dem was kommen würde. Mein Vater hinter mir, damit ich Joe nicht fallen ließ. Joe trennte sich keinen Millimeter von mir und Chrissy ganz verloren vor mir. Jürgen, warum???
Diese
Frage blieb bis heute unbeantwortet...
Chrissys Abschied vom heißgeliebten Papa: den ersten verlorenen Zahn, ein selbstgemaltes Bild und ein wunderschönes Herbstblatt gab er Jürgen mit auf seine Reise...
Trotz
dieser Bilder, in meinem Herzen, der vielen Rückschläge und der tiefen Löcher
in die ich fiel, habe ich nie aufgegeben. Auch wenn ich es oft genug als
leichter empfand. Ich habe meinem Mann auf dem Weg ins Krankenhaus versprochen,
dass ich für die Kinder immer da bin, ihnen zur Seite stehe und das Beste
raushole. Jedesmal an seinem Grab wiederhole ich diesen Schwur. Egal, wie es mir
geht, was aus mir wird, unseren Kindern wird es gut gehen. Auch wenn Chrissy bis
heute all das Geschehene noch nicht ganz verarbeitet hat, ist er in seinem
Rahmen ein glückliches zufriedenes Kind. Und Joe, die es anfangs so gar nicht
wahrhaben wollte, steht heute mit stolzgeschwellter Brust vor mir und erzählt
von ihrem Papa: „Mein Papa, der ist tot. Aber er ist immer bei mir. Bei Tag
sitzt er auf seiner Wolke und bei Nacht auf seinem Stern. Er passt immer auf
mich auf!“ Ich denke, ich habe trotz meiner eigenen Trauer ganze Arbeit
geleistet und kann Stolz auf unsere beiden Kinder sein. Auch wenn immer wieder
mal ein Loch kommt, in das ich falle, so sind sie mittlerweile schon lange nicht
mehr so tief und ich steh schneller wieder auf. Heute, gut fünf Jahre danach,
kann ich auch sagen, dass ich glücklich bin. Glücklich auf meine Art und in
meinem Rahmen.